Luo Mingjun „Le Troisième Espace“

19-03-2019    Views  139

Luo Mingjun „Le Troisième Espace“

8.4.-24.5.2014


Der Dritte Raum - ist er greifbar oder betretbar, gar sichtbar? Was charakterisiert diesen Dritten Raum? Das Dritte, oder der Dritte ist weder Ego noch Alter. Vielmehr erweitert er unser kulturell so festgefügten Denken in binären Dichotomien, der Zweipoligkeit eines Ja und Nein, Ost und West, Orient und Okzident, wahr und falsch. Er verweist den Dualismus als überholt. Die Figur des Dritten gilt in der soziologischen Theorie als eine Art Kommunikator, als ein Medium, das aus der dyadischen Struktur auszubrechen hilft und Differenzen zwischen Alter und Ego zu stiften vermag. Mit der Wahrnehmung und Reflexion des Dritten besteht die Chance aus der verengten Sichtweise der Dyade auszubrechen und neue Räume auszuloten.


Luo Mingjuns Ausstellung „Le Troisième Espace“ in der Galerie Gisèle Linder nimmt sich jenem „Dritten Raum“ an. Mehr noch, der Dritte Raum ist konstitutiv und Heimat für Luo Mingjuns Kunstschaffen geworden. Die persönlichen Erfahrungen der Künstlerin von Migration, von Aufbrechen und Unterwegs-Sein, prägen ihr Denken und bestimmen ihre Arbeit. Immer dann jedoch, wenn die Entscheidung für ein Leben in der Diaspora getroffen wird, werden Fragen nach der kulturellen Identität zwingend. Fragen, die sich selten gänzlich auflösen lassen. Luo Mingjuns künstlerische Auseinandersetzung kann als eine Suche nach Antworten auf diese Fragen begriffen werden: Im Kunststudium in China in westlicher Ölmalerei der klassischen Moderne ausgebildet, lassen sich davon heute in ihrem Oeuvre nur noch marginale Spuren ausfindig machen, lediglich das Medium von Leinwand und Ölfarbe ist geblieben. Im Gegenzug haben chinesische Elemente Einzug gehalten, sei es in Form alter (Familien-)Fotografien, dem spezifischen Umgang mit der Ölfarbe oder in der intensiven Auseinandersetzung mit Papier.


Das Changieren zwischen zwei Kulturen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und der produktive Misserfolg einer festen Zuschreibung zum Einen, dem Osten noch zum Anderen, dem Westen, führten Luo Mingjun zu einem Zufluchtsort, dem Dritten Raum. In der Literatur, namentlich in Werken der postkolonialen Literatur, lassen sich schon längst Versuche finden, einen Dritten Raum beschreibbar zu machen; einem Dritten Raum der mit dem Denken in isolierten kulturellen und politischen Gegebenheiten bricht. Luo Mingjun versucht einen solchen Raum auch für ihre Kunst fruchtbar zu machen. Sie sucht einen imaginären Ort, an dem sich Identitäten überlagern und nebeneinander existieren können ohne sich dabei auszuschliessen. „Der Dritte Raum“, so die Künstlerin, „ist jedoch nicht mein persönlicher Raum im physischen Sinne, sondern als ideeller Rahmen ist er prinzipiell für all jene offen, die daran partizipieren möchten.“ In diesem Sinne setzt sie in ihn nicht nur für ihre eigene künstlerische Entwicklung alle zukünftigen Erwartungen, vielmehr hofft sie auf vielgestaltige Kollaborationen und Ausstellungsprojekte.


Luo Mingjuns Kunst hat nach einer langen Suche einen Ort gefunden, der ihr zusteht und in dem sie sich weiter entfalten kann. Der Dritte Raum fragt nicht länger nach Zuschreibungen. Wie die Wolke in ihren neuesten Arbeiten „Clouds“, die frei und barrierelos im Raum schweben kann.




Frederike Harrant, März 2014